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Published on Jul 16, 2015

Wissensmanagement – Die richtige Medizin für die Digitale Transformation

Die Einführung von Wissensmanagement (Knowledge Management) wird in der Fachpresse in letzter Zeit dadurch begründet, dass gerade in einer Zeit der knapp werdenden „Human Resources“ eine Optimierung im Umgang mit dem Wissen des Unternehmens und der Mitarbeiter notwendig sei.

Auch wenn die Ressourcen nicht knapp wären, ist alles, was hilft Suchvorgänge zu verkürzen, Doppelentwicklungen zu vermeiden oder sich auf die Anforderungen eines schnell entwickelnden Marktes mit teilweise disruptiven Technologien vorzubereiten, betriebswirtschaftlich sinnvoll.

Besonders für Healthcare in der digitalen Transformation gilt eine kurze Halbwertszeit des medizinischen Wissens, also ist lebenslanges Lernen selbstverständliche Verpflichtung. Zudem soll das jeweils relevante Wissen allen Mitarbeitern des Krankenhauses zur richtigen Zeit am richtigen Ort möglichst benutzerfreundlich zur Verfügung stehen. In diesem Sinne bilden Mensch, Organisation und Technik gemeinsam die drei zentralen Kernpunkte von Wissensmanagement.

Unterteilt man Wissen in „Kernwissen“, „Fortgeschrittenes Wissen“ und „Innovatives Wissen“ (nach Lehner), so ist gerade das innovative Wissen und seine kontinuierliche Erweiterung und Erneuerung wichtig für Unternehmen, langfristig Wettbewerbsvorteile zu sichern.

Daher ist die Frage, ob wir Wissensmanagement brauchen, klar mit „ja“ zu beantworten. In der neuen ISO9001:2015 erfährt Wissen übrigens als wichtige Ressource eines Unternehmens schon Berücksichtigung.

Dennoch scheint Knowledge Management in deutschen Unternehmen kein Renner zu sein und das Management von seiner Einführung zurückzuschrecken. Nur wenige Unternehmen berichten von einer erfolgreichen Einführung des Knowledge Managements.

Nachstehend werden sechs Thesen zur Einführung von Wissensmanagement aufgestellt, die die Problematik aber auch die Chancen von Knowledge Management aufzeigen sollen:

  1. Knowledge Management benötigt ein vertrauensvolles Betriebsklima
  2. Knowledge Management erfordert eine angemessene Organisation
  3. Knowledge Management wird nur ein Selbstläufer, wenn alle davon profitieren
  4. Knowledge Management ohne Records Management ist schwierig
  5. Knowledge Management heißt nicht unbedingt „noch ein IT-System“
  6. Die Akzeptanz von Knowledge Management steigt, wenn der Wert von Wissen transparent gemacht wird

1. Knowledge Management benötigt ein vertrauensvolles Betriebsklima

Knowledge Management heißt, dass Mitarbeiter im Unternehmen ihr implizites und soziales Wissen explizit machen, um es anderen Experten zur Verfügung zu stellen oder Lernprozesse der Nichtexperten zu ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist Vertrauen zwischen den Kollegen und zwischen Mitarbeitern und Management. In Organisationen, in denen Mitarbeiter Angst haben, ihre Fehler einzugestehen, werden z.B. keine aussagekräftigen „Lessons learned“ erstellt werden können, die dazu beitragen sollen, gleiche oder ähnliche Fehler zukünftig zu vermeiden. Erst wenn Mitarbeiter angstfrei und offen kommunizieren können, erscheint die Einführung von Knowledge Management sinnvoll.

2. Knowledge Management erfordert eine angemessene Organisation

Das für ein Unternehmen wichtige Wissen ist in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen wie ein seltener Bodenschatz schwer zu lokalisieren, und wenn es gefunden wurde, schwer zu gewinnen oder gar zu vermehren. In jedem Fall heißt dies:

Das Management unterstützt Knowledge Management durch Schaffen von Kostenstellen, auf die F&E-Aufwände verbucht und transparent gemacht werden können. Die Aufforderung zur aktiven Verbesserung des Unternehmens und seiner Produkte muss die Klarstellung beinhalten, dass es keine Fehler gibt. Das Management muss klar kommunizieren, dass Knowledge Management „mission critical“ ist und nicht nur „nice to have“.
Die Personalabteilung: Empfang und Weitergabe von Wissen ist im Arbeitsvertrag verankert und Gegenstand von Mitarbeitergesprächen. Die Personalabteilung unterstützt den Aufbau und das effektive Arbeiten von Communities.
Wissensmanager: die Bedeutung von Knowledge Management wird durch die Definition der Rolle des Wissensmanagers und den Aufbau einer Wissensorganisation aus Experten und Managern dokumentiert.

Da der Informationsaustausch an der Kaffeemaschine nicht ausreicht und bei verteilten Organisationen auch nicht darstellbar ist, müssen Arbeits- oder Expertengruppen gegründet werden, in denen die Mitarbeiter freiwillig an z.B. Prozessverbesserungen oder Entwicklungsaufgaben arbeiten. Sie erhalten ein Zeitbudget hierfür, um dies nicht auf Kosten ihres Tagesgeschäfts oder ihrer Freizeit tun zu müssen. Eine entsprechende Förderung dieser Aktivitäten und die Wertschätzung der Ergebnisse durch das Management ist ein unbedingtes Muss.

3. Knowledge Management wird nur ein Selbstläufer, wenn alle davon profitieren

Knowledge Management heißt für den Mitarbeiter in einer Anlaufphase Mehrarbeit, von der er keinen Nutzen hat. Wir wissen schon vom Document Management, dass Tätigkeiten wie Verschlagworten und Kommentieren ungeliebte Arbeiten sind, wenn man sie „für die Kollegen“ und nicht für sich selbst tut. Erst wenn ein Mitarbeiter erkennt, dass auch er von der zusätzlichen Arbeit profitieren kann, sie also langfristig wieder Arbeit und Zeit spart und er die Qualität der eigenen Arbeit verbessern kann, dann wird Knowledge Management ein Selbstläufer. Intensive Kommunikation über erste Erfolge, Aussagen von begeisterten Kollegen, den „Early Adopters“, spornen die Nachzügler und Nörgler an, sich zu beteiligen.

4. Knowledge Management ohne Records Management ist schwierig

Organisationen, bei denen die „Old School“ der Schriftgutverwaltung noch nicht funktioniert, werden Probleme haben, ihr Wissen aufzufinden und weiterzuentwickeln. Organisationen mit gut entwickeltem Dokumentenmanagement sind deutlich im Vorteil, da das Auffinden von relevanten Dokumenten mit technischer Unterstützung einfacher sein wird.

Da sich Daten und Informationen auch besonders zur informationstechnischen Speicherung und automatischen Verarbeitung eignen, wird Wissen gerne auf diese beiden Teilaspekte reduziert, in der Hoffnung, dass wenn man Daten und Informationen nur hinreichend verlinken würde, daraus Wissen entstehen wird.

Das ist leider nicht der Fall. „Wissen ist in jedem Fall die Kenntnis von Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung und basiert auf einer systematischen Vernetzung von Informationen. … Wissen ist damit im Unterschied zur (passiven) Information proaktiv, unterstützt oder veranlasst somit Aktivitäten des Wissensinhabers.“

Viele deutsche Unternehmen haben bei der Dokumentenverwaltung noch Schwachstellen, weil sie dem Trugschluss aufgesessen sind, dass die neuen Suchmaschinen in einem großen Topf von Artefakten schon das Richtige finden werden. Das ist noch nicht der Fall, da semantische Suchmaschinen einerseits noch nicht weit verbreitet sind (und auch hier gilt: „von nichts kommt nichts“ – Ontologien und Glossare müssen erstellt und gepflegt werden, um gute Ergebnisse zu erzielen) und andererseits die stark wachsende Anzahl von elektronischen Artefakten immer mehr Rechenleistung erfordert, wenn keine Kultur der Datenvermeidung oder –löschung implementiert ist.

5. Knowledge Management heißt nicht unbedingt „noch ein IT-System“

Beim bereits erwähnten „Explizitmachen“ von Wissen kann auf geeignete Methoden zur Darstellung von Prozessen, zur Visualisierung mit Skill Maps oder Mind Maps oder den klassischen SWOT-Analysen oder Balanced Score Cards zurückgegriffen werden.

In den 80er Jahren wurde an sogenannte Expertensystemen (XPS) entwickelt. Diese sollten Wissen von Experten meistens auf der Basis von Implikationen beschreiben und für Problemlösungen nutzbar machen. Entstanden sind medizinische Diagnosesysteme, Interpreter von Daten und Signalen, Prognosesysteme für Erdbeben und Hochwasser mit mäßigem bis gutem Erfolg. Generell haben die XPS die Hoffnungen, die in sie gesetzt worden sind, allerdings nicht erfüllt. Dass weiter an Maschinen gearbeitet wird, die uns Entscheidungen abnehmen sollen, beruhigt nicht alle Kenner der Szene.

Wissen muss geteilt werden, damit es sich vermehrt.

D.h. wichtig ist die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander. Kommunikationstools wie Chat oder Instant Messaging, Tools für adhoc stattfindende Telefon- oder Videokonferenzen beschleunigen den Informationsfluss. Kollaborationstools (z.B. Wikis, Sharepoint) erleichtern das gleichzeitige Arbeiten an Dokumenten und Social Software erleichtert das Auffinden von kompetenten Kollegen. Relevante und aktuelle Dokumente werden im DMS oder CMS schnell gefunden, wenn eine Verschlagwortung erfolgte.

Um Wissen zu sammeln und zu kommunizieren, sind genügend Systeme auf dem Markt. Sie müssen nur effektiv eingesetzt werden. Und es bedarf der wertschätzenden Behandlung der Befragten, eine vielfach in Unternehmen schwer zu erfüllende Bedingung. Knowledge Management-Projekte sind allerdings auch daran gescheitert, dass nicht genügend Ressourcen (z.B. Bandbreite, Storage) bereitgestellt wurden, dass Zugriffsbeschränkungen zu restriktiv waren oder Wissensbestände zu stark in den alten Silos gehalten wurden.

6. Die Akzeptanz von Knowledge Management steigt, wenn der Wert von Wissen transparent gemacht wird

Dass der Wert von Wissen so verkannt wird, hat wohl auch damit zu tun, dass er nicht richtig gemessen wird. Ein Index wie RoK (Return on Knowledge) dokumentiert, dass Wissen nichts mit Philanthropie oder Anthroposophie zu tun hat, sondern notwendig ist, um Gewinn zu erzielen, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Auch bieten sich Marktwert-Buchwert-Relationen wie z.B. „Tobin’s Q“, der Quotient aus Marktwert und Wiederbeschaffungskosten an, um den Wert von Wissen quantitativ ausdrücken zu können.

Knowledge Management heißt für das Management: Wiedereinführung einer Linienfunktion ähnlich der vor Jahren abgeschafften ORG-Einheit und das Eingeständnis, dass das für das Wohlergehen des Unternehmens notwendige Wissen nicht alleine in den Köpfen des hochbezahlten Managements steckt sondern im gesamten Unternehmen.

Knowledge Management ist also ein strategisches Thema, aber auch ein schwieriges. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass es in der Praxis so selten angegangen wird.

F. Lehner „Wissensmanagement“ 2014

Fraunhofer-Studie „Wissensstandort Deutschland“ 2014

F. Lehner „Wissensmanagement“ 2014

Handelsblatt vom 23.Juni.2015: J. Schmidhuber „Die meisten Menschen übersehen Muster“

DMS: Dokumenten-Management-System, CMS: Content-Management System